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Precht

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ZDF
So, 01.06.2025 | 23:45 - 00:25

Tagesgeschehen (D 2025)

In den Gesellschaften des Westens wächst der Pessimismus. Wo ist der Glaube an den Fortschritt geblieben? Darüber diskutiert Richard David Precht mit dem Soziologen Andreas Reckwitz. Die Moderne ist geprägt vom Glauben an den Fortschritt. Doch mehr und mehr verblasst dieser Glaube. An seine Stelle tritt die Angst vor Verlusten: von Wohlstand, dem Lebensraum Erde, Gesundheit und andere. Menschen sehen eher die Probleme statt deren Lösungen. Über 80 Prozent der Deutschen vermuten, dass es künftigen Generationen schlechter gehen wird als der heutigen. Die Gesellschaften des Westens scheinen gegenwärtig mehr und mehr an sich selbst zu verzweifeln. Angst vor Krieg, künftigen Pandemien, dem Kollaps des Klimas und einer zunehmend schlechteren ökonomischen Lage lässt in vielen Ländern den gesellschaftlichen Pessimismus wachsen. Wo ist der Glaube an den Fortschritt geblieben, der die Moderne so sehr geprägt hat? Und warum sehen wir heute meist mehr Probleme als Lösungen, wenn es um die Zukunft geht? Der Soziologe Andreas Reckwitz attestiert der Westlichen Welt in seinem neuesten Buch "Verlust" einen immer kritischeren Umgang mit gesellschaftlichen Verlusten. Schon der Begriff provoziert, steht er doch im direkten Gegensatz zu unserem über Jahrzehnte verinnerlichten Bild des immerwährenden Fortschritts. Das Wohlstandsversprechen und die Gewinnaussicht haben seit der Gründung der Bundesrepublik nicht nur für Zuversicht gesorgt, sondern auch unsere Demokratie stabil gehalten. Wachstum, politische Stabilität und soziale Zufriedenheit sind jedoch keine Selbstverständlichkeit mehr. Die westliche Wirtschaft steht durch die offensiven asiatischen Märkte ebenso unter zunehmendem Druck wie die westliche Wertegemeinschaft. Ressourcen werden knapp, Märkte schotten sich ab, und viele politische und soziale System, die ewig funktionieren sollten, laufen längst nicht mehr rund, drohen gar zu kollabieren. Hat man sich in früherer Zeit – wie etwa bei Kriegsende – mit massiven Verlusten noch arrangiert und nach vorn geschaut, so empfindet die kapitalistische Gesellschaft der Spätmoderne die drohenden Verluste vor allem deshalb als so schlimm, weil sie irreversibel erscheinen. Der grundsätzliche Glaube an eine bessere Zukunft schwindet, wir fürchten, mehr zu verlieren als dazuzugewinnen. Die wachsende Überforderung, Ratlosigkeit und Erschöpfung des modernen Menschen treibt ihn daher immer tiefer in den Pessimismus oder in eine gefährliche Rückwärtsgewandtheit. Was aber geschieht mit einer Gesellschaft, der die Zukunft eher Angst macht, als dass sie sie inspiriert? Die sich eher zurücksehnt als vorwagt? Wie verkraften wir hoch individualisierten, wohlstandsverwöhnten Bürger des Westens weitere noch bevorstehende Verlusterfahrungen? Und gibt es ein Rezept, das der Moderne neue Impulse und neue Zuversicht verleiht, sie resilienter macht für das, was noch kommt?

Thema
  • Erschöpfte Gesellschaft – Verlustängste statt Zuversicht.
Gast

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